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Wie wir lernen

Schnappfisch-3366Eines der spannendsten Forschungsfelder ist für mich das Betätigungsfeld, in dem es darum geht, zu erforschen, wie wir Menschen lernen. Dabei geht es mir weniger darum, wie wir uns (kurzfristig) möglichst viele Fakten merken, sondern wie wir durch die aufgenommenen Informationen einen Nutzen generieren – sprich wie wir die Informationen für unser zukünftiges Leben sinnstiftend uns (und anderen) zu Nutze machen.

Abgesehen von dem ersten Kontakt als (unreflektierter) Selbstlerner ging ich im meinem Berufsumfeld zuerst der Frage nach, wie man Wissen erfolgreich managed. Die Anfänge liegen nun fast schon 20 Jahre zurück und waren anfangs sehr technologielastig, wandelten sich aber schnell zur Orientierung in Richtung Mensch unter dem Bindeglied der Organisation.

Spätere Forschungsarbeiten konzentrierten sich dann mehr auf das Individuum. Mit eigenen Kindern in der aktiven Lernphase verbreiterte sich dann auch die Wahrnehmung und zeigten gleichzeitig die Grenzen der aktuellen Lernmodelle auf.

War vor einem halben Jahrhundert noch völlig klar, dass Lernen auf eine simple Reiz-Reaktions-Kette, dem sogenannten Behaviorismus, zurück zu führen ist, so ist die Sichtweise heute differenzierter.

Bleiben wir aber noch kurz bei den 50ern des letzten Jahrhunderts. Durch das einfache Modell, das vielen durch die Versuche von Iwan Petrowitsch Pawlow an Hund und Pferd bekannt ist, lassen sich viele einfache Lernvorgänge vortrefflich darstellen. Stellen wir uns vor, wir schlendern in aller Ruhe durch die Straße und plötzlich nehmen wir etwas seltsames vor unserem nächsten Schritt wahr. Der Fuß folgt schon seinem Rhythmus und so ist es nur noch ein kurzer Weg, bis wir auf dem Unbekannten stehen. Der Reiz ist schon längst in unserem Gehirn angekommen und sucht nach Bildern, die dieses Unbekannte zum Bekannten machen können. Noch bevor wir überhaupt Wissen, was es sein könnte, machen wir schon als Reaktion auf diesen Reiz einen Ausfallschritt und bleiben glücklicherweise auf den Beinen…

Eine Vielzahl von unterbewussten Reaktionen lassen sich vortrefflich mit diesem Modell der Reiz-Reaktions-Kette beschreiben. Was aber viel schlimmer war, der Mensch (wie auch das Tier), lässt sich mit einem immer wiederholten Stimulus auch wunderbar zum gewünschten Verhalten konditionieren. War es in der Industrialisierung noch von Nutzen (aus Sicht der Arbeitsteilung und des Wachstums), dass die Menschen – wenn auch stumpfsinnig – ihrer Routinearbeit in den Fabriken nach gingen, so hat die Globalisierung als Folge, diese Arbeitsplätze schon längst in andere Länder verlagert. Diese Sicht des Lernens entfaltet nun ihren Nutzen nicht mehr in dem Maße, wie vor 50 Jahren. Sie „liefert“ zwar Menschen, die sich ihrem Schicksal fügen und damit aus Sicht der Regierenden einfacher zu „verwalten“ sind – dies aber nur so lange, wie die grundlegenden Bedürfnisse befriedigt werden. Die Notwendigkeit, einen (gesellschaftlichen) Wandel zu erkennen und diesen auch aktiv zu Unterstützen, lässt sich mit diesem Erziehungsmodell nur schwer realisieren.

Dem Behaviorismus folgte bald der Konstruktivismus. Nun ist alles sinnliche Erfahren Teil dessen, wie wir die Welt begreifen und entsprechend wahrnehmen. Da jeder Mensch andere Ausprägungen seiner Sinne hat und auch durch die Vorerfahrungen zu anderen Schlüssen seiner Sinneswahrnehmungen kommt, wird es für die Wissenschaft schwer, Handlungsempfehlungen zum richtigen Lernverhalten zu geben. Die Vielfalt der Lernmodelle ist eine logische Konsequenz. Dabei hat jeder Lernansatz seine Berechtigung, kommt aber unweigerlich auch an seine Grenzen.

Gerade die reformpädagogischen Ansätze bergen eine große Gefahr, genau jene Lernlinge zu verlieren, die sie doch gerade zu kritischen Individuen machen wollen. Hier zeigt sich allzu oft das wiederkehrende Schema, zu sehr an einem einmal gefassten Konzept fest zu halten, ohne die Kraft der Erneuerung zu berücksichtigen. Bei Elterninitiativen um so mehr, da die Entscheidungsgewalt meist nicht klar festgelegt ist und somit die nötigen Entscheidungen erschweren.

Durch die Genforschung ist nun ein weiteres Tor, um zu verstehen, wie wir Lernen, aufgestoßen. Versuchen an Mäusen zur Folge lassen sich Erfahrungen mittels genetischem Code auf die nächste Generation übertragen. Damit ist auch der Konstruktivismus als Lerntheorie unvollständig.

Was nun? Wie lernen wir nun wirklich?

In Zeiten der Industrialisierung war diese Frage noch völlig überflüssig. Stellte man sich doch hier noch vordergründig die Frage, welches Menschenbild den größten Nutzen für die vorhandene Arbeit liefert. Der Mensch war damit Mittel zum Zweck und damit auch das, was ihn als bewusstes Wesen aus macht. Dank der Konditionierungsmöglichkeiten, welches in dem Behaviorismus innewohnt, war die passende Wissensvermittlung schnell gefunden.

Durch den stetigen Rückgang von (zu leistender) Arbeit, ist auch die Notwendigkeit gegeben, einen anderen Zugang zum Lernen zu finden. Das Problem unserer Zeit ist jedoch, dass eine Prognose in die Zukunft – und damit die Ableitung, welche Bildung der Gesellschaft nutzt – heute schwerer ist, als noch vor 100 Jahren.

Wir wissen heute, dass Lernen ein höchst individueller Prozess ist und nicht mit einem Modell abgehandelt werden kann. Auch wissen wir heute, dass die Motivation zu lernen von dem Lernling selbst kommen muss und gleichwohl individuell verschieden ist. Ein genereller 1:1-Privatunterricht scheitert heute gleichzeitig an den finanziellen Möglichkeiten und an Ermangelung an qualifiziertem Personal. Vielleicht bietet sich aber gerade hier eine Möglichkeit, den Rückgang von Arbeitszeit so zu kompensieren, dass wir Zeit einräumen, die wir der nächsten Generation schenken und das los gelöst von der Familiengrenze?!

Dazu müsste unsere Gesellschaft sich aber grundlegend wandeln und öffnen für eine unbekannte Zukunft. Lernen könnte dann einerseits Phasen des individuellen und direkten Bezugs zwischen Lernling und Lernbegleitung haben, andererseits durch Zusammenschluss auch gerade die soziale Komponente einbinden, die eine Gemeinschaft fördert.

Abschließend lässt sich festhalten, dass alle wissenschaftliche Modelle, die zu erkennen versuchen, wie wir lernen, an Grenzen stoßen. Vielleicht ist das aktuelle wissenschaftliche „Vokabular“ auch nicht geeignet, ein entsprechendes (vollständiges) Modell zu entdecken. Vielleicht ist es gerade jetzt ratsam, einen völlig neuen Weg zu gehen und gemeinsame Lernphasen mit individuellen zu kombinieren? Phasen in der Gruppe und Phasen in direktem Austausch zwischen Lernling und Lernbegleitung?

An dieser Stelle würde ich gerne weiter denken, vielleicht findet sich hier eine passende Denk-Gemeinschaft. Wer weiß…?

Die Schwierigkeit liegt nicht darin, die neuen Ideen zu finden,
sondern darin, die alten loszuwerden.
(John Maynard Keynes)

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Auf den Punkt zu bringen, wer man ist, fällt weitaus schwerer, als andere in eine Schublade zu stecken ;-) Im Kern bin ich freiheitsliebend, freigeistig und gerne auch mal (benimm-)regelverstoßend. Ansonsten ganz "normal".
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