In letzter Sekunde
Ein Freund hat mir heute von einem kürzlichen Erlebnis erzählt, welches sehr anschaulich zeigt, wie sehr wir vom Gewohnheits-Effekt beeinflusst werden und unsere Wahrnehmung entsprechend gefiltert wird. In dem Beitrag über Achtsamkeit habe ich diesen Effekt kurz gestreift. Nun aber zu seinem Erlebnis:
Gastbeitrag von Eckhart:
Wir hatten einen nicht sehr erfreulichen Besuch in der Stadtklinik hinter uns und beschlossen, es uns als Ausgleich gut gehen zu lassen. Nach einigem hin und her einigten wir uns wegen des schönen Wetters auf die Terrasse einer nahe gelegenen Bar. Wir ließen uns gemütlich nieder und genossen den wunderschönen, friedlichen Blick in den Park und auf die angrenzenden Bauwerke.
Schließlich bestellten wir uns eine Kleinigkeit zu essen und etwas zu trinken. Nebenbei und ganz unauffällig frönten wir unserem gemeinsamen Hobby „Leute gucken“. Wie herrlich kann man darüber lästern, wenn sich Menschen, deren Figur nicht den üblichen Idealen entspricht, diesen Umstand auch noch durch unvorteilhafte Kleidung betonen. Oder beim Beobachten von Paaren stellt sich oft die Frage, in welchem Verhältnis die Beiden zueinander stehen. Lieben sie sich? Wer ist der oder die Stärkere in der Beziehung? Welche Berufe könnten sie ausüben? Genauso interessant ist die Beobachtung von Hunden und ihren Besitzern. Wie gehen sie miteinander um? Häufig gibt es mit einiger Phantasie kuriose Ähnlichkeiten. Aber es kommen auch gut und geschmackvoll gekleidete Personen vorüber, was uns immer sehr freut. So genießen wir ein kostenloses Vergnügen mit unendlich vielen Varianten.
Nach einiger Zeit platzierten sich eine blonde und eine dunkelhaarige Dame am Nachbartisch, letztere mit einem kleinen Jungen. Er hatte goldig braune Wuschellocken, trug ein braunes Höschen mit einem schicken blauweiß gestreiften Hemdchen und wurde „Hermes“ gerufen – ein ungewöhnlicher Name. Hermes war lebhaft aber nicht unangenehm lebhaft und bewegte sich überall auf der Terrasse. Mit einigen Gästen nahm er auch schüchtern Kontakt auf. Immer wieder zog es ihn aber auch zu dem Springbrunnen auf der vorgelagerten Grünfläche. Seine Mama rief dann nach ihm: „Hermes komm doch, komm her, weg da!“ Es klappte nie, weshalb sie ihn immer wieder geduldig zurückholte. Gezeter gab es dabei erfreulicherweise nicht. Sie saß mit dem Rücken zur Szene und drehte sich deshalb häufig um.
Der Springbrunnen war aber auch ideal für den Kleinen Racker. Er konnte sich bequem auf die abgerundete Brüstung legen und nach dem Wasserstrahl haschen. Das Rückholverfahren hatte sich inzwischen so häufig wiederholt, dass die Gäste nicht mehr darauf achteten. Es war einfach Routine eingekehrt. Jeder wandte sich wieder an seinen Partner und setzte das durch die Ankunft der beiden Damen und Hermes unterbrochene Gespräch fort.
In dieser friedlichen Stimmung schoss die Mama plötzlich hoch, rannte zu dem Brunnen und sprang mit einem großen Satz über den Brunnenrand mitten hinein ins Wasser. Es gab einen Riesenplatscher mit einer hohen Fontäne. Was war das? Da hob sie auch schon triumphierend ihr Söhnchen in die Höhe und stieg platschnass aus dem Wasser. Keiner außer ihr hatte bemerkt, wie der Kleine ins Wasser gefallen war. Nach diesem Schreck wurde aber gleich ganz cool Schadensbegrenzung betrieben, indem die Freundin dem Kleinen Schuh und Strümpfe auszog, das Höschen runterzerrte und die Windel abnahm. In diesem Moment kam der Kellner des Wegs – Bussi links und rechts und er bekam vollkommen selbstverständlich die Windel in die Hand gedrückt zur Entsorgung.
Söhnchen wurde in eine warme Decke gewickelt und quäkte etwas nach dieser unerwarteten Badeszene. Er hatte wohl auch ordentlich Wasser geschluckt. Die Mama trocknete sich so gut es ging in der Sonne. Irgendwoher bekam sie ein trockenes T-Shirt. Dann nahm sie liebevoll ihr Söhnchen auf den Arm und krabbelte ein bisschen seine Füßchen. Schon war alles wieder gut und friedlich. Sie schaukelte ihr Söhnchen ein bisschen und meinte dann lächelnd: „Wir hätten ihn Poseidon und nicht Hermes nennen sollen.“
Ich glaube niemandem war klar, wie ernst die Situation gewesen war. Ein paar Sekunden später und wir hätten eine fürchterliche Tragödie erlebt. – Zwei Leben gerettet!
Schöne Geschichte!
Herrlich, diese klassisch-stoische Gelassenheit der Mutter. Ja, so waren die „alten Europäer“ – Grandezza und Gelassenheit.
Wie anders dagegen die jüdisch-amerikanische Holywoodhysterie der Frauen, die uns medial als modern aufgenötigt wird…