Der Tausch des Propheten
Orientierung in dieser Welt zu finden, war schon immer kein leichtes Unterfangen. Je besser wir den Menschen als abstraktes Wesen verstehen, desto vielfältiger werden die Begehrlichkeiten, besagtes Wesen zu führen. In der Jetzt-Zeit sind wir in einem ungeahnten Maße in der Lage, selbst individuelle Wesenszüge zu erfassen und gezielt zu manipulieren. Big Data ist ein Stichwort – dies jedoch ist lediglich die Fortführung eines alten Traums…
Bleiben wir kurz beim Unwort des Jahres 2014: der Lügenpresse.
Das Unwort ‚Lügenpresse‘ ist ein gutes Beispiel. Längst ist ein Großteil der Menschen aufgefallen, dass die Berichterstattung der Mainstream-Medien ein einseitiges Bild der Welt zeichnen. Da die Presse nicht selbst in der Lage (ist und) war, auf die kritischen Stimmen zu hören und auch alle anderen (Kontroll-)Organe wie z.B. der Programmbeirat versagten, war die Konsequenz für viele eine Abkehr besagter Medien. Was aber dann meistens kommt, ist nicht das kritische Bewusstsein, sondern lediglich ein Wechsel von Ross und Reiter.
Konkret sucht man sich einen neuen Anbieter von Informationen und folgt dessen ‚Weltmodell‘. Dieser Zwischenschritt ist gut und hilfreich, wenn es nicht bei diesem bleibt. Zu oft aber wird der neue Meinungsmacher dann das Auge in die (ferne) Welt und dessen Wahrnehmungen werden (ungefragt) zu den Eigenen. Wie wenig offen die Alternativmeinung ist, kann man – bei einigen noch – den Kommentaren entnehmen. Sobald eine kritische Stimme laut wird, weht ein steifer Wind entgegen. Meinungen sind nur dann erwünscht, wenn diese die Meinung des Autors stützt. Hier unterscheiden sich die wenigsten Alternativ-Blogger von den verschmähten Vertretern der ‚Lügenpresse‘. Aber immer noch besser als die gegenteiligen Kommentare gleich zu zensieren, denn damit stellen sich besagte Alternativmedien auf die gleiche Stufe wie der Mainstream, den sie vorgeben, so scharf zu kritisieren.
Der Tausch des Propheten.
Was dann oft passiert ist nichts weiter als ein Wechsel des Propheten. Man wechselt von einer Religion zur nächsten, so wie man vom Spiegel, Welt, FAZ dann zu einem Blog-Krieger wechselt. Dort angekommen bleibt dann das, was eigentlich der gesunde Menschenverstand sein soll, wieder dort wo er schon immer war: gut verpackt; trocken, dunkel und kühl gelagert für eine spätere Verwendung. Dabei ist schon heute die Zeit reif, den kritischen Verstand zu schärfen.
Konkret bedeutet dies, nicht alles für bare Münze zu nehmen, kritisch den noch so gut erläuterten Hergang selbst zu durchdenken. Sich die Zeit zu nehmen lieber weniger Informationen zu konsumieren, dafür diese aber tiefer zu durchdringen. Vielleicht auch einmal die dargebotene ‚Sensation‘ selbst zu verifizieren, denn kaum noch jemand, der auf Klick-Zahlen und Werbebanner setzt, prüft seine Quellen auf Verlässlichkeit – will man doch als erster den ‚Topbeitrag‘ auf dem Ticker platzieren.
Geht man als Konsument diesen (selbst-kritischen) Schritt nicht, so kann sich die ‚Raupe‘ nie zum ‚Schmetterling‘ verwandeln. Sie wechselt dann wie ein Chamäleon ihre Farbe, wechselt von einer Meinung zur nächsten – stets im Glauben, dort für die richtige Sache einzustehen.
Der Mix macht die Mixtur.
Wie bei den Weltreligionen ist es auch bei der Informationsbeschaffung. Nicht die eine Quelle ist die einzige Quelle, es sind die vielen, die uns bereichern – und aus den vielen längst nicht alles!
Es geht darum sich die Dinge zu eigen zu machen, die auch einer kritischen Prüfung stand halten. Gewiss ist der Weg dorthin nicht leicht, alleine schon meine kritische Anmerkung zur Kommentarfunktion lässt bei den meisten Blogs wenig Spielraum sich eine sichtbare, eigene Meinung zu bilden, ist doch nur das erwünscht, was die Meinung des Autors entspricht. Nicht jeder ist auch in der Lage (technisch, zeitlich etc.) einen eigenen Blog zu betreiben.
Der eigene Blog muss auch nicht die Lösung sein, für den einen passt diese, für den anderen nicht. Vielmehr gilt es, seinen eigenen Weg zu finden. Ob als Gastbeitrag, als Kommentar, als Redner bei einer Veranstaltung etc.
Erst dann wird der geschärfte kritische Verstand zu dem Werkzeug, welches er ist. Je mehr von diesem Werkzeug Gebrauch machen, desto schneller wird sich auch die verkrustete Struktur wieder öffnen. Erst durch das Öffnen ist eine Weiterentwicklung möglich und nicht nur ein Wechsel bestehender Muster. Erst wenn die kritische Meinungsvielfalt wieder möglich ist – und damit meine ich nicht plumpe Troll-Kommentare – ist ein Austausch der Argumente eine Erweiterung unseres Bewusstseins.
Das Sammeln der Follower…
Es geht also nicht darum, sich möglichst viele Follower zu eigen zu machen oder gar die ‚Likes‘ ins unermessliche zu treiben. Ziel sollte vielmehr sein, die konstruktiven und kritischen Stimmen zu sammeln, denn die schaffen es gemeinsam mit der Initiative des Autors die Welt, in der wir leben, täglich etwas besser zu verstehen um uns dann als das Werkzeug zu beGREIFEN, damit das Leben in Zukunft auf dieser Welt immer etwas besser gelingen mag, als es in der Vergangenheit bereits gelang.
Wohin des Weges?
War das schon alles? Keineswegs – es ist lediglich ein Schritt von vielen. Ein weiterer wird klar, wenn man sich das große Bild ansieht. Mensch somit einen Schritt zurück tritt – denn nur so lässt sich der Tunnelblick öffnen.
Der Individualismus ist eine tragende Säule unserer Gesellschaft. Schaut man jedoch an den Stellschrauben etwas genauer hin, so ist dort von Individualismus keine Spur zu erkennen. Es ist fast schon gleichgültig, welche politische Partei man wählt – man wählt eine Farbe, die sich kaum von der anderen unterscheidet. Statt bunte Vielfalt wählt man Schattierungen von Grau. Auch innerhalb einer Partei sind die Möglichkeiten durch den Fraktionszwang begrenzt.
Auf höherer EU-Ebene bleibt uns das Schauspiel zumindest erspart, wird doch das entscheidende Gremium, die EU-Kommission, genau so wenig vom Volke direkt gewählt die z.B. die Troika, die über das Wohlergehen ganzer Nationen entscheidet.
Hier etwas per Petition ändern zu wollen, setzt voraus, dass das Werkzeug auch politisch legitimiert ist, das ist es aber nur im Sinne eines Feigenblatts. In wieweit Demonstrationen noch hilfreich sind, seine Meinung klar und präzise kund zu tun, statt – dank den Presseorganen – in ein politisches ‚Gedankengefängnis‘ gesteckt zu werden, darüber lässt sich bekanntlich (nicht) streiten.
Wenn also die Lösung im äußeren Wirken nicht (mehr) zu finden ist, kann diese nur – wenn vielleicht auch nur als Umweg – über den Weg im Inneren zu finden sein. Dieser Weg erfordert jedoch ein kritischen Umgang mit der Wahrnehmung – zumindest mit der Wahrnehmung die uns von Dritten als solche ‚verkauft‘ wird. Erst dann kann sich überhaupt das ausbilden, was so gerne als bewusstes Bewusstsein umschrieben wird.
Bewusstsein in Bewegung bedeutet Wachstum.