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Potentialentfaltung – mehr Hirn bitte!

GHueter2Wenn der Neurobiologe Prof. Dr. Gerald Hüther einen Vortrag hält, wird auf anschauliche Art und Weise klar, was uns alles in unserem Konsumwahn und streben nach mehr Geld, verloren geht. Um so erkenntnisreicher und wertvoller sind seine Vorträge aber, da er nicht die Menschen als „Schlafschafe“ sieht, sondern konkrete Wege aufzeigt, um unsere Gesellschaft aus der Dunkelheit ins Licht zu führen…

Manchmal geschehen kleine Wunder, so gestern in Ettlingen. Gerald Hüther hatte kurzfristig vor einem Vortrag in Stuttgart etwas Zeit und legte einen Zwischenstopp ein. Die Vorlaufzeit war mit zwei Tagen äußerst knapp, auch die Vortragszeit mit 13:30 Uhr – 15:00 Uhr nicht für jeden ideal. Dennoch, der Saal war mit seinen ca. 300 Sitzplätzen voll, so dass auch die Wände belehnt wurden. Mein Kompliment an die Organisatoren!

Auch meine Teilnahme war ein kleines Wunder. Erstens überhaupt so kurzfristig von der Veranstaltung zu erfahren und dann noch die Gelegenheit zu haben, mit meinem ältesten Sohn daran teil zu nehmen. So ist es dem Umstand geschuldet, dass seine Klasse just an diesem Freitag einen Ausflug ins Waldklassenzimmer unternahm und dieses auf den Weg nach Ettlingen lag. Ich konnte meinen Sohn so direkt an der Bahnhaltestelle abholen und die Fahrt Richtung Ettlingen unmittelbar fortsetzen, um pünktlich zum Vortrag anzukommen. So war er wohl mit seinen 9 Jahren einer der jüngsten Zuhörer in der Aula.

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Soviel zu meiner privaten Geschichte, nun aber zum eigentlichen Vortrag mit dem Titel: „Etwas mehr Hirn, bitte – wie Lernen gewinnbringend gelingen kann.

Wenn man so will, war sein Vortrag in zwei Teile gegliedert. Der erste Teil widmete sich der IST-Situation, der zweite Teil dem, was wir konkret tun können, damit unsere Gesellschaft wieder gesund werden kann.

So will ich auch gleich mit den Krankheitssymptomen beginnen. Der Kern unseres ‚Sozialproblems‘ liegt darin, dass wir die Menschen als Objekte sehen und nicht als Subjekte. Konkret bedeutet dies, dass wir jeden Menschen mit Eigenschaften versehen, die letztendlich unseren Vorstellungen entsprechen zu haben. Das führt dann entweder dazu, dass wir die Schuld – welche sich unweigerlich ergibt, dass unser Eigenbild von dem Fremdbild differiert – bei dem Anderen suchen. Ihm also vorwerfen, was er nicht kann, welchen Mangel er hat etc. Oder aber wir nehmen die Schuld auf uns und bestrafen uns selbst. Wer etwas in meinen alten Beiträgen stöbert, findet einige vertiefende Beiträge.

Um letztendlich dieses „Defizit“ auszugleichen, geben wir uns dem Konsum hin. Wir konsumieren Waren in der Hoffnung, damit Glück zu empfinden, welches uns als Subjekt nicht zu teil wurde. Gerald Hüther spricht aber auch an, dass eine neue Generation Y nicht mehr den Statussymbolen hinterher jagt, nicht mehr ihre Befriedigung ausschließlich im Äußeren sucht, sondern kritisch hinterfragt, für was sie ihre Arbeitskraft einsetzen. Eine kleine Revolution, die langsam wächst.

Der zweite Teil zeigt dann die Lösung auf. Der schnelle Weg wäre, dem Konsumwahn ein Ende zu bereiten – dann fällt das Kartenhaus in sich zusammen. Mein Blog hat sich ja zur Aufgabe gemacht, diesen Konsumwahn einen Namen zu geben: SchnappfischKapitalismus. Wenn die Droge „Konsum“ dann durch ein Miteinander kompensiert wird, welches die Menschen so belässt, wie sie sind, die Menschen so angenommen werden, wie sie sind, dann wird ihnen die Suche nach dem Glück unmittelbar zuteil.

Er zeigt aber auch noch einen weiteren Weg auf, wie man die Potentialentfaltung – so seine treffende Umschreibung dessen, was passiert, wenn der Mensch so sein kann, wie er ist – fördern kann. Hier kommen wir dann auch zum provokativen Titel mit dem „etwas mehr Hirn“. Es geht nicht um die Leistungssteigerung mittels bewusstseinserweiternder Medikamente (sog. ‚Enhancements‘), es geht darum, sich mit gleichgesinnten zusammen zu tun. So lautet auch eine konkrete Empfehlung:

tun Sie sich mit zwei weiteren zusammen und starten Sie gemeinsam!

Ich kann diesen Ratschlag nur beipflichten, der Versuch, etwas alleine zu Unternehmen, scheitert zu schnell an den Umständen, denen man alleine kaum begegnen kann. In der Gruppe, auch mit nur drei Menschen, ist der Rückhalt schon um ein vielfaches größer – und auch das vorhandene Hirn ist um mindestens den Faktor drei gewachsen!

Gerald Hüther sprach aber auch noch ein weiteres Thema an: die Haltung mit der man sich auf den Weg macht. Will man die Welt verbessern, macht man die Menschen wieder zum Objekt und muss unweigerlich scheitern. Die Haltung muss aus einem verantwortungsvollen Umgang der Mitmenschen heraus erwachsen. Hier sehe ich auch das größte Problem, denn der überwiegende Teil in dem globalen Dorf „Erde“ unterliegt dem Gehorsams-Diktat. Aus Gehorsam erwächst aber immer nur Pflichtgefühl, niemals Verantwortung. Erst wenn dieses ‚Pflichtbewusstsein‘ überwunden ist, kommt das zum Tragen, was den Menschen zum Menschen macht.

Besonders gefallen hat mir in der nachfolgenden Fragerunde Gerald Hüters Antwort auf eine konkrete Umsetzung im Schulalltag. Hinter der Frage stand letztendlich der Wunsch nach einem „Kochrezept“. In seiner Antwort gab er dieses nicht und was noch viel wichtiger ist, er beließ die Verantwortung für das Handeln bei dem Fragesteller. Zu oft passiert sonst nämlich der übliche Teufelskreis: die Person wendet das „Kochrezept“ an, was aber nicht zu sofortigem Erfolg führt, somit fällt die Person wieder in ihr altes Schema zurück, nun aber bestärkt in dem Entschluss, dass das alte Vorgehen doch das Richtige ist.

Aus meiner Erfahrung als Dozent, der in seinen Vorlesungen so einiges anders gemacht hat, als die Studenten bisher gewohnt waren, weiß ich, dass es seine Zeit braucht, bis das Vertrauen da ist, sich auf etwas Neues ein zu lassen. 10 Stunden sind hier keine Seltenheit. Bleibt man aber authentisch, so merken die Studenten bald, das man es ernst meint, wenn man ankündigt, keine Abschlussprüfung zu machen sondern die Benotung in einer Gruppenarbeit erfolgt – speziell dann, wenn man die Differenzierung in der Notengebung der Gruppe selbst überlässt. Das Ergebnis waren dann fast durchgängig sehr gute Gruppenarbeiten und bei der anschließenden Evaluierung meiner Vorlesung empfanden die Studenten auch die abschließende Gruppenarbeit als den besten Teil der Vorlesung, welches ich als Kompliment nahm.

Hier endet auch mein Beitrag und da es so etwas wie Zufall nicht gibt, noch eine Randbemerkung: dieser Beitrag ist mein 300. Beitrag – Gratulation lieber Gerald Hüther, ihnen wurde die Ehre zu Teil 🙂
Apropos 300: nächsten Monat feiert Karlsruhe seinen 300. Stadtgeburtstag und ich erinnere mich bei der Zahl noch an 300 Spartiaten, welche von Leonidas angeführt gegen die riesige Übermacht des Perserkönigs Xerxes kämpften. Vielleicht gelingt Gerald Hüther mit Einhundert solcher DreierTeams ein Wunder gegen eine Konsum-Übermacht?! Ich würde es mir wünschen, hätte ich einen Wunsch frei!

Es ist kein Zeichen geistiger Gesundheit,
gut angepasst an eine kranke Gesellschaft zu sein.
(Jiddu Krishnamurti)

Über Ro!and (409 Artikel)
Auf den Punkt zu bringen, wer man ist, fällt weitaus schwerer, als andere in eine Schublade zu stecken ;-) Im Kern bin ich freiheitsliebend, freigeistig und gerne auch mal (benimm-)regelverstoßend. Ansonsten ganz "normal".
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7 Kommentare zu Potentialentfaltung – mehr Hirn bitte!

  1. Die gesamte deutsche Kultur ist geprägt vom „tun“ und der Angst vor dem „Nichtstun“ sobald mal der Druck ein wenig nachlässt, stellen sich schon Entzugserscheinungen ein – aber die Strafe gottes ist unausweichlich, alle vergehen an Leib und Seele durch die selbstausbeutung werden mit Krankheiten und Siechtum bestraft

  2. Tante Herta // 9. Mai 2015 um 19:38 //

    ein sehr schöner Beitrag. Es wird Zeit dass sich etwas tut in unserer Gesellschaft und das muss in der Schule beginnen. Ich hatte Prof. Huther im Gespräch mit Richard David Precht gesehen. Das hat mich wahnsinnig beeindruckt. Für interessierte hier:
    https://www.youtube.com/watch?v=yxKuSS_qn28

    • Die Schule ist und bleibt der Spiegel einer Gesellschaft. Hier beginnt und endet alles Bildungsbemühen.
      Wir sollten langsam ablassen von dem Gedanken, uns ausschließlich auf Eigenschaften zu konzentrieren und uns aufmachen, die Transformation zu den Beziehungen einzuleiten. Wenn sich Schule zu 50% auf die Grundlagen im Sinne der Eigenschaften konzentriert und die verbleibenden 50% dann in die Beziehung investiert, sind wir auf einem guten Weg.

  3. @Tante Herta:
    Danke für den Hin-Weis !
    Hach ! Einfach HERR-LICH-T !!!
    ;)Hatte „gerade“ auch den *Hüt-Her* auf dem Schirm… gestern noch davon den „Kindern“ 😉 vor-geschwärmt… 😉

    @Roland:
    „Vielleicht gelingt Gerald Hüther mit Einhundert solcher DreierTeams ein Wunder gegen eine Konsum-Übermacht?! Ich würde es mir wünschen, hätte ich einen Wunsch frei!“
    … 😉 …
    KLAR! hast Du diesen *Wunsch*…“FREI“ !!!
    – und ICH denke/wünsche/tue mein Teilchen auch dazu.
    *JaH!*

    Kleina Nach-Denk-Gruß:
    *Ge-Hör-innig-es*
    aus Nach(t)-GeH-Dank-er-EI-ern

    More/less
    =>
    „lieber/als“
    😀
    Lieber Griff(el) als Schwamm.
    Lieber Kümmel als Schimmel
    Lieber Brummer als Ver-Dumm-er
    Lieber Pfeife als Schleife
    Lieber Hacke als Macke
    Lieber GeH-Hirn als Irr-Zwirn
    Lieber Herz- Geist als Ver- Waist

    Jeden-falls:
    Herz und Hände hoch
    und immer noch
    „lieber … als“
    😉
    „NOCH“

    Noch braucht das *EI* Gelassenheit und Ruhe
    in all diesem Um-Sich-Rum-Getue

    Noch ist doch nichts ver-patzt,
    noch ist ihm die Schale nicht geplatzt !

    Noch kann das Küken ganz in Ruhe wachsen
    in allen Denk-und UN-Denk-Richtungen und Achsen.

    Noch kann es seinen Schnabel härten
    für die leckren Samen in den Außen-Gärten.

    Noch kann es tun und lassen,
    was es selber gerne will,
    darum halt´ ich seinem Wachs-Tum in mir still,
    will lieber doch noch etwas schweigen und noch etwas lauschen
    und mit KEINEM Eier-Schalen-Händler mehr tauschen.
    N.O.C.H.
    😉 * JaH! * 😉
    😀

  4. Heidrun Rupp // 10. Mai 2015 um 16:38 //

    Ich hatte ähnliches Glück, noch im gleichen Ettlinger Vortrag zu landen.
    Was mir sehr wichtig scheint:
    Herr Hüter sprach mehrfach davon, daß es eben keiner besonderen Anstrengung bedarf eine gesunde Lernsituation zu haben, wenn ich nichts beim anderen oder mir bewirken/einwirken möchte, sondern ihm, ob 5 oder 50 Jahre alt, als Subjekt begegne(keine 10h Vorbereitung). Er sprach im Gegenteil davon, daß es in seinem Sinne SOFORT das eigene Leben bereichert und sogar unbedingt „Glücksbotenstoffe“ freisetzt (sonst läuft was falsch). Man braucht, denke ich, höchstens den Mut, einen inneren „Leerraum“ zu betreten und Pläne erst im gemeinsamen „mehr Hirn“ entstehen zu lassen. Wenn es bei ihm einen zugrundeliegenden Plan gibt, den Du in eine Lernsituation einbringst, dann meine ich, ist es sein immer wieder mantraartig wiederholtes „Einladen, ermutigen, inspirieren“. Es war ihm wichtig zu betonen, dass kein übergeordnetes Programm unsere Lernwelt nachhaltig in seinem Sinne verändern kann, sondern nur die innere Haltung jedes Einzelnen und zwar in jedem Moment. Irgendwo in dem intensiven Vortrag ließ er die knappe Bemerkung fallen: „Die gute Nachricht ist: Jeder kann in jedem Augenblick und jedem Alter aus dem Objektstatus heraustreten und zum Subjekt werden.“ Dann setzt auch in jedem Alter wieder (ganz hirnorganisch) Lernen ein. Es braucht nur „Einladung, Ermutigung, Inspiration…eines GEGENÜBERS“.

    • Die 10h, von denen ich sprach, waren nicht (ausschließlich) Vorbereitung, sondern eher die Zeit, die notwendig war, damit der passende Lernraum halt gefunden hat. Die Studenten kommen ja mit einem „Schatz“ an bisherigen Erfahrungen in die Vorlesung und plötzlich spricht jemand davon, es anders zu machen. Die Zurückhaltung verfliegt aber, wenn man dran bleibt und Einladungen, Ermutigung und Inspiration einbringt. Es braucht aber je nach Situation seine Zeit – so meine Erfahrung…

      • 😉 *JaH!* 😉
        All-es trägt/hat/macht SEINE Zeit.
        Eine *Gute Frucht* braucht REIFE-Zeit im Zu-Lächeln der Sonne. 😉

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