Das perfekte Königreich
Es lebte einst ein König in einem perfekten Königreich. Sein Königreich bestand aus 100.000 Puzzleteilen und jedes dieser Teile war an seinem perfekten Ort. Jedes Teil passte zu seinen Nachbarteilen und entfaltete ein harmonisches Ganzes. Reichhaltig war alles in seinem Reich. Es gab ausreichend viel Platz für die Menschen, denen es an keiner Bequemlichkeit mangelte. Die Burgmauern waren fest und wehrhaft. Wasser und Wald gab es in Hülle und Fülle und auch an fruchtbaren Böden mangelte es nirgends. Auch die Luft war so klar wie kaum in einem anderen Königreich. Das Himmelsblau von einer Intensität wie es das sonst nur an klaren, warmen Frühlingstagen gibt.
Das perfekte äußere Bild des Königreichs setzte sich auch im Inneren fort. Die Menschen und Tiere, ja sogar die Pflanzen, achteten sich gegenseitig. Diese Rücksichtnahme ging soweit, dass die Brennnesseln nicht nesselten. Die Tiere sich nicht gegenseitig fraßen und der König sogar seinem Volk den Vorrang gab. Bei den öffentlichen Versammlungen kam es oft vor, dass der König die Türe für sein Volk offen hielt oder auch so kleine Gesten, wie dass er dem einen oder der anderen aus oder in den Mantel half. Es war durch und durch ein makelloses Königreich, eben wie aus dem Bilderbuch – nur war dieses Königreich halt auf einem 100.000-teiligen Puzzle.
Eines Tages war es dem König zu eng in seiner Burg – das kommt zwar nicht oft vor, ist aber auch nichts besonderes und lässt auf keinen Fall auf einen Makel schließen. Es ist eher eine Eigenschaft unseres Königs, dass er von Zeit und Zeit aufbricht um sein ganzes Königreich zu bereisen.
An diesem Tag zog er bereits sehr früh los, sodass er eine größere Reise unternehmen konnte. Er wollte die Grenzen seines Königreichs inspizieren und so machte er sich alleine auf, denn so konnte er frei die Richtung bestimmen und auch das Tempo. Es war Mittag als er an der östlichen Grenze ankam und so legte er in mitten des Waldes, in dem er stand, eine Rast ein. Nahm sich aus seiner Satteltasche reichlich zu Essen und zu Trinken und ließ es sich gut gehen. Auch für sein treues Pferd, das ihn begleitete – denn ganz ohne Begleitung wollte er nun doch nicht losziehen – gab es ausreichend frisches Wasser aus dem nahen Fluss.
Die Speisen waren gegessen, das Nasse getrunken uns so machten sich Ross und Reiter auf, gegen Norden zu ziehen. Immer entlang der Grenze. Das war besonders bequem, denn so konnten sie sich nicht verlaufen, egal wie dicht der Wald war. Zu ihrer Rechten war immer das Nichts, das ihnen Orientierung gab. Nachdem sie lange durch den Wald gelaufen waren – denn zum Reiten war er nach kurzer Zeit zu dicht – kamen sie auf ein Feld. Das Getreide stand schon hoch und so genossen sie es, quer durch die Halme zu schreiten und zu beobachten, wie diese sich bogen, um ihnen den nötigen Raum zum Durchqueren zu geben, um danach wieder in ihre natürliche Stellung zurückzukommen. Alles war in einem harmonischen Fluss miteinander verbunden. Alles achtete auf den Anderen und somit auch auf sich selbst.
Das Feld war schnell durchritten, auch weitere Felder, sodass es nicht lange dauerte, bis sie ans Meer kamen. Die Wellen kamen mit einer unvergleichlichen Harmonie am Strand an und trugen Muscheln und Steine von überall her zum Strand. Der König nahm sich Zeit und Muße … setzte sich an den Strand. Er genoss die Gleichförmigkeit und Kraft, die in der Brandung steckte. Dieses Gefühl war seines. Mit dieser Haltung hatte er bisher auch in seinem Königreich regiert. Beständigkeit, Kraft und Verlässlichkeit waren seine Tugenden auf die sich jeder im Volk verlassen konnte.
Es war noch zu früh für die Rückreise und auch für eine Rast sah er noch keine Notwendigkeit. So nahm er sich das Floß, welches am Ufer stand und segelte am Rand des Puzzles weiter über das Meer. Es war eine sehr angenehme Überfahrt, denn Wind und Gezeiten meinten es gut mit ihm, sodass er schnell vorankam. Bald war das Meer zu Ende und nur noch strahlend blauer Himmel prangte über ihm. Er wollte auch noch das letzte wagen und bis zur äußersten nord-östlichen Grenze vordringen. So kam es ihm auch sehr gelegen, dass die hier erzählte Geschichte keine Grenzen kennt, was ein Mensch zu tun vermag. Er nahm aus der Truhe, welche in der Mitte des Floßes befestigt war, die Flügel heraus. Band sich den einen um den linken Arm, den anderen um den rechten Arm. Ein paar Flügelschläge reichten, er hob von dem Floß ab und konnte seine Reise gegen Norden im Fluge fortsetzen.
Es dauerte länger als erwartet, aber er fand einen sehr angenehmen Rhythmus für einen wenig anstrengenden Flügelschlag, der ihn gleitend weitertrug. Eine Stunde später kam er an der nördlichen Grenze an. Was er dort jedoch erblickte, ließ ihn fast abstürzen. Die Ecke war nicht glatt wie er es erwartet hatte, sondern gebogen. Hatte eine Nase in der Mitte, statt der klaren Linie. Er flog etwas nach links und sah, dass auch von dieser Seite keine glatte Kante zu sehen war. Erst weiter nördlich kam ihm wieder vertrautes zu Gesicht. Er umflog die unharmonische Grenzposition nochmal und nochmal. Dann musste feststellen und akzeptieren, dass das Eckpuzzleteil fehlte!
Man könnte nun einwenden, dass dieses fehlende Teil eh nur blankes Blau hätte zeigen müssen und sich jeder vorstellen konnte, wie es auszusehen habe. Man könnte auch konstatieren, dass ein Teil unter 100.000 gar nicht weiter ins Gewicht fällt, verbleiben doch 99.999 in voller Perfektion. Man könnte auch vermuten dass eh keiner aus seinem Volk sich jemals auf diese beschwerliche Reise begeben würden und der Mangel so niemals ans Licht käme. Für ihn aber ist es nun Gewissheit. Sein einst perfektes Königreich hat ein Makel. Es ging ihm dabei nicht um die Größe des Makels, es ging ihm um die pure Existenz dieser Fehlstelle. Er versuchte den Gedanken beiseite zu schieben, aber auf dem Rückweg in die vertrauten Mauern seiner Burg, ging ihm der Gedanke des Makels nicht mehr aus dem Kopf.
Er beschloss für den nächsten Tag einen Rat einzuberufen, um zu besprechen, was in dieser Angelegenheit getan werden muss. Dies ließ ihn immerhin einschlafen, wenn auch seine Träume nicht mehr die Gleichen waren wie zuvor …
Bereits beim Morgengrauen machte sich der König auf, seinen Ältestenrat einzuberufen. Sie kamen schnell herbei, spürten doch alle die Anspannung des Königs. Es mögen an diesem Vormittag gut um die 20 Menschen versammelt gewesen sein, so genau weiß es niemand mehr, denn keiner nahm sich die Zeit ein Protokoll zu schreiben. So sind auch die Erinnerungen nur noch Bruchstückhaft vorhanden. Gewiss ist jedoch, dass der König von seiner Reise zur nord-östlichen Grenze erzählte und auch das fehlende Puzzleteil nicht unerwähnt ließ. Gewiss ist auch, dass dieser Makel dem König schwer zu schaffen machte, war er doch stets darauf bedacht, König eines perfekten Königreichs zu sein!
Man besprach Optionen und fand keine, denn es gab keine doppelten Puzzleteile in dem Königreich. Auch pflegte man keine Handelsbeziehungen zu anderen Puzzle-Reichen, von denen man sich das fehlende Teil hätte kaufen können. Auch gab es keinen Handwerkszweig in dem Königreich, der sich auf Puzzleteile spezialisiert hatte. Niemand kannte eine gute Fee oder einen Zauberer, der das fehlende Teil hätte wiederbeschaffen können und auch keiner der wackeren Ritter wollte für ein nur Blau zeigendes Puzzleteil in den Krieg ziehen.
Der König war in großer Sorge, da keiner aus dem Ältestenrat seine Besorgnis teilte. Für alle war auch ohne das eine Puzzleteil ihr Königreich noch immer perfekt, keiner wollte sich wegen einem Teil von 100.000 etwas anderes einreden lassen. Der König fühlte sich verlassen, er spürte den fehlenden Rückhalt in seinem Volk. Es war aber nicht der fehlende Rückhalt, der seine Gedanken so in Beschlag nahm, es war eher die aussichtslose Lage in der er sich befand. Dem Ältestenrat war klar, dass er an dieser Stelle keine Entscheidung treffen konnte. Diese war einzig und alleine dem König vorbehalten. So versicherten sogleich alle, dass das ganze Volk die Entscheidung des Königs tragen werde, wie auch immer diese ausfallen möge.
Die Kunde, dass es in dem „perfekten Königreich“ einen König gab, der vor einem Problem steht, dass über seine Möglichkeiten hinaus geht, machte sehr schnell die Runde. Längst wurde auch in benachbarten Puzzles darüber gesprochen. Und so dauerte es nicht lange, bis sich einer angesprochen fühlte, den König zu beraten. Dieser Eine streifte sich seine graue Kutte über, nahm seinen knorrigen Stock, packte sein Bündel und zog los. Es war eine lange und beschwerliche Reise und es gab auch einige ungeklärte Ereignisse, wie er beispielsweise die
Grenzen der Puzzles überwand. Dies ist aber eine andere Geschichte und will ein andermal erzählt werden. So kam dann der Tag, an dem dieser Eine vor den Burgmauern des Königs in dem perfekten Königreich stand und um Audienz bat.
Der König freute sich über das Angebot, das der Eine ihm offerierte. Grübelte er doch seit unermesslicher Zeit schon darüber nach, wie er sein Königreich auch für ihn selbst wieder perfekt machen könnte. Der Eine erzählte dem König von seiner Reise und dem was er erlebt hatte. Er erzählte von einem Puzzle, welches das gleiche Blau am Himmel trug und dessen nord-östliche Ecke der fehlenden in der Kontur völlig glich. Er erzählte auch, dass der Herrscher in diesem Puzzle das Teil nicht freiwillig hergeben würde, sich der Kampf aber lohnen würde.
Es muss nicht weiter erwähnt werden, dass der Eine dem König keine weitere Option aufzeigte. Mehr noch, er sagte dem König klipp und klar, dass dies die einzige Möglichkeit sei, wie er wieder zu seinem perfekten Königreich kommen könne. Als Bedenkzeit gab er dem König die Nacht.
Es war keine leichte Nacht für den König – schwerer noch als einst die Nacht, in der er mit der Kunde des fehlenden Puzzleteils zurück zur Burg kam. Er wälzte sich im Bett und fand nicht in den Schlaf. Er wusste, wie treu ihm sein Volk ergeben war. Er wusste aber auch, dass deren Gefolgschaft Grenzen kannte und keiner für ein Puzzleteil – vor allem einem, dass eh keiner je zu Gesicht bekam – in den Krieg ziehen wollte. Wenn der Eine schon mit so einem Vorschlag bei ihm vorsprach, so dachte er, wird der auch einen Vorschlag haben, wie sich das Vorhaben umsetzen ließe. Mit diesem Gedanken fand er dann doch endlich seinen Schlaf.
Noch bevor der Hahn krähte ließ der König den Einen kommen. Er erzählte ihm von seinen Sorgen, dass sein Volk nicht bereit wäre, für das eine unter den 100.000 in den Krieg zu ziehen. Kaum machte er diese Sorge breit, da kam ihm der Eine schon entgegen. Er wisse, wie man die Menschen in seinem Volk dazu brächte, dass sie bereit seien, diese Mühsal auf sich zu nehmen. Das beruhigte den König und so ging er den Handel ein. Der Preis, den er dafür zu zahlen habe, wollte der Eine noch nicht nennen. Es konnte aber kaum über seinen Möglichkeiten stehen, so der König, und so war er sich gewiss, dass dieser Handel zu seinem Vorteil ist.
Das erste, was der Eine empfahl, war, die Bücher, welche die Jüngsten lasen, zu überarbeiten. Fortan war in diesen Büchern sehr viel darüber zu lesen, was das Wesen von einem perfekten Königreich ausmacht und das ein Teil unter 100.000 seinen Anteil hat, damit etwas perfekt ist. Es stand zu lesen, dass nur dann etwas als Perfekt zu bezeichnen ist, wenn jedes – aber auch jedes – Teil an seinem Platze ist. Fehlt nur eines, so kann nicht mehr von „Perfektion“ gesprochen werden.
Als das Erste getan war, musste das Zweite folgen. Der Eine empfahl diejenigen auszugrenzen, welche weiterhin verharmlosten, dass das eine fehlende Puzzleteil nicht stören würde. Es waren die kleinen Gesten, die diese Menschen im Volk zu Ausgegrenzten machten. Der König hielt ihnen nicht mehr die Tür auf oder half ihnen aus dem Mantel. Auch sonst merkten diese Leute bald, dass sich etwas verändert hatte.
Als der Eine zufrieden war mit den Fortschritten, sorgte er mittels einer Kleinigkeit dafür, dass die beiden Gruppen aneinander gerieten. Der schon lange aufgetürmte, aber stets sorgsam im Zaume gehaltene Zorn entlud sich in kraftvollen Gesten und es flog nicht nur das eine oder andere Wort von einer Gruppe zur anderen. Der Eine nutzte diese Gelegenheit geschickt aus, um das Augenmerk auf das fehlende Puzzleteil zu lenken. Er machte allen Anwesenden klar, dass die Lösung ihrer Probleme in der Wiederbeschaffung des einen Teils liegt. Es war eine pathetische Rede, eine Rede von Perfektion und über Perfektion. Es gelang dem Einen, dass die Anderen seinen Gedanken folgten und nicht wagten, etwas anderes zu Denken. Seine Gedanken waren nun die Handlungsmaxime, der sich jeder unterzuordnen hatte. Sein Plan ging auf. Der Samen der Zwietracht, der vor langer Zeit von ihm gesät wurde, begann nun zu reifen und erste kräftige Blüten zu tragen. Er erwartete eine reiche Ernte. Bis dahin, so wusste der Eine, ist noch eine lange Zeit. In dieser Zeit nun galt es das Volk fit zu machen – fit für die Dinge, die getan werden mussten. Viele verbrachten nun ihre Zeit damit, sich für einen Kampf zu rüsten, den sie gar nicht kämpfen wollten.
Als der Tag kam, an dem das letzte Schwert geschmiedet, der letzte Pfeil gespitzt und die letzte Rüstung geformt war, war die Stimmung mehr als nur bedrückend. Jedem war instinktiv klar, dass es bald kein Zurück mehr gab. Auch der Eine wusste es und bereitete den König bereits auf diesen Tag vor. Die Worte, die der König an diesem Tag an sein Volk richtete, waren somit auch nicht die wahren Worte des Königs, auch wenn sie aus seinem Mund kamen. Es waren zwar Worte von klarer Sprache, Worte die eine Zukunft zeichneten, die sich so jedoch nie einstellen sollte. Kurz es waren Worte der Täuschung und des Verrats.
Noch am gleichen Tag zog das Heer los. Vorne mit dabei der Eine, welcher vom König zum Heerführer ernannt worden war. Der König, so empfahl der Eine, solle in seinem Königreich verweilen und auf die frohe Kunde warten. So wurde der Eine zur Rechten Hand des Königs. Sein Diktat allein war es, denen die Soldaten von nun an zu gehorchen hatten.
Wie lang die Reise werden würde, war nur dem Einen, der nun der Heerführer war, bekannt. Er wollte an diesem Zustand auch nichts ändern. Schnell erreichten sie die Grenzen ihres perfekten Königreichs und verließen es. Keiner konnte sich jedoch daran erinnern, wie dies geschah. Der Heerführer gestattete keinem zu erfahren, wie eine solche Reise gelingt. So mussten auch alle vor dem Schlafen einen Trunk einnehmen, den ihr Heerführer aus einem Fläschchen entnahm und mit Wasser verdünnte. Jeder, der von diesem Mittel trank verfiel sogleich in einen tiefen Schlaf und erwachte am nächsten Tag an einem völlig fremden Ort.
Der Proviant reichte freilich nicht für die gesamte Strecke und so ließ der Heerführer befehlen, dass sich die Soldaten aus den Dörfern, an denen sie vorüber zogen, nahmen, was sie brauchten. Ein paar wenige wollten dies freilich nicht. Einige wiederum ließen sich überzeugen, andere ließ man zurück. Nicht jedes Dorf gab ihnen freiwillig von Speis und Trank und so nahmen sich die Soldaten das, was sie begehrten. Mal mehr und mal weniger – aber immer soviel, dass sie gut satt wurden. Für den Heerführer war dies eine gelungene Möglichkeit seine Soldaten mit der Praxis des Kampfes vertraut zu machen, auch wenn der Widerstand der arglosen Menschen mehr als harmlos war.
So vergingen die Tage und sie erstürmten Puzzle um Puzzle, um endlich in dem Puzzle anzukommen, dessen nord-östliches Teil dem Grund ihrer Begierde bis aufs Haar glich. Das blaue Teil aus dem Puzzle herauszunehmen war wieder so eines der Dinge, die man nicht beschreiben konnte. Es war sicherlich eine Portion Magie dabei, aber auch der unerbittliche Drang des Heeresführers sorgte für das Gelingen. Kräfte wurde beschworen, die niemand zuvor kannte. Kräfte, die tief im Inneren des Puzzles ruhten und von dort aufstiegen. Es waren gewaltige Kräfte! Kräfte die schon vor dem Puzzle dort unten waren. Kräfte die im Stande waren etwas zu erschaffen aber auch etwas zu zerstören. Es war das Werkzeug in der Hand des Heerführers, der sich nun für die Zerstörung entschied und so wurde dem einst vollkommenen Puzzle, auf dem sie waren, nun das nord-östliche Teil geraubt.
Die angrenzenden Teile wurden von einer Erschütterung heimgesucht, die viele angrenzende Teile derb verschob. Die Seiten wurden nach links und rechts gespannt bis zu dem Punkt, das die Verbindung zwischen den Teilen, welche für die Ewigkeit gemacht war, zerbarst und das Teil der Begierde endlich freigab. Der Heerführer scherte sich nicht um die nun entrückten Teile daneben … Kollateralschaden. Er machte sich nun mit seinem Schatz auf die lange Rückreise.
Der Raub jedoch blieb ob der ganzen angerichteten Verwüstungen nicht unbemerkt und so mussten sie sich auf der Rückreise bereits einigen Unerschrockenen stellen. Sie hatten jedoch leichtes Spiel, da kaum einer der Recken wirklich auf einen Kampf eingerichtet war. Schnell war der Weg frei und sie konnten weiter ziehen. Dennoch dauerte der Rückweg länger als der Hinweg. Das mag zum einen daran gelegen haben, dass sie ja nun ihren Schatz – das eine Puzzleteil – im Gepäck führten, zum anderen jedoch auch daran, dass die Dörfer, die sie auf dem Hinweg antrafen nun keine Speisen oder gar Trank mehr hergaben. Viele dieser Dörfer waren durch die letzte Begegnung so verwüstet, dass nichts mehr da war, was sie auf ihrer Reise zurück hätte stärken können. So waren sie gezwungen einen längeren Rückweg einzuschlagen, der auch neue Gefahren barg.
Diesen Gefahren ist es wohl anzulasten, dass das einstmals große Heer zahlenmäßig immer kleiner wurde. Bei der letzten Traumreise zu ihrem Puzzle, dem perfekten Königreich, jedoch geschah etwas anderes als bei den anderen Traumreisen. Wieder bekamen alle Soldaten einen Trunk von dem Heerführer, nur diesmal aus einem anderen Fläschchen. Abermals fielen sie in einen tiefen Schlaf aus dem sie erst am folgenden Tag wieder erwachten. Jedoch erwachten sie nicht in ihrer vertrauten Heimat sondern an einem völlig anderen Ort. Es war kein schöner Ort. Zu allem Ungemach kam noch hinzu, dass sowohl ihr Heerführer wie auch das erbeutete Puzzleteil – ihr so lang umkämpfter Schatz – nicht mehr unter ihnen weilten. Alles Suchen brachte keinen Erfolg. Die Mission schien für sie beendet zu sein.
Der Heerführer hatte noch eine kurze Reise vor sich. Den Schatz gut verstaut musste er noch den Wald durchqueren, in dem einst der König eine Rast bei dem Ausflug einlegte, welche aus heutiger Sicht den Zeitpunkt markierte, an dem das Königreich nicht mehr perfekt war. Noch vor Einbruch der Dunkelheit kam der Heerführer am Schloss des Königs an. Sehnsüchtig wurde er schon von den Menschen erwartet. In einem Zeremoniell übergab er dem König das Puzzleteil, welches im Stande war, das einst perfekte Königreich wieder zu dem zu machen, was es so gerne war.
Am folgenden Tag wollte man das Puzzleteil an jener Stelle einfügen, welche derzeit ohne war. Die Nacht hindurch wollte man jedoch zum Anlass nehmen, den Einen, der einst ihr Heerführer war, willkommen zu heißen. Vor allem aber wollte man seine Geschichten hören und wie es dazu kam, dass er einst als Heerführer mit einem stattlichen Heer auszog, um dann als Einer ohne Mann und Maus zurückzukehren. Was der Eine in dieser Nacht erzählte, hat wenig mit dem zu tun was wirklich geschah. Es war vielmehr seiner Phantasie entsprungen und ist ebenfalls eine Geschichte, die ein andermal erzählt werden wird …
Noch bevor der Tag sich daran machte, die Nacht zurückzudrängen, drängte es den König, den Einen nach seinem Lohn zu fragen. Welcher Preis er für seinen Dienst wolle? Der Eine jedoch sprach in seiner Bescheidenheit, dass er längst den Lohn seiner Mühen erhalten habe. Einen Preis von dem er lange noch zehren konnte, denn, so fuhr der Eine fort: „Ihr könnt das Geschehene nicht ungeschehen machen!“ Da begann der König zu begreifen, welchen Preis er für das eine Puzzleteil unter den 100.000 bereit gewesen war, zu bezahlen. Das einst perfekte Königreich hat nun das verloren was es einst vollkommen machte: seine innere Vollkommenheit. Nun ist der äußere Schein wieder gewahrt, jedoch der Innere auf ewig zerstört.
Dem Einen jedoch war dieses Gut und Billig. Er machte sich noch vor dem Morgengrauen auf und verließ das perfekte Königreich für alle Zeit. Der König und sein Volk jedoch waren von nun an gebunden an einen Fluch für den es keine Heilung gab.
Das Echo der Vergangenheit,
mag ewig hallen gar so weit.
Doch nutzt es nichts, wenn man nicht ´greift,
was ihn ihm steckt, was aus ihm reift!
•
•
•
… doch halte ein, es kam ganz anders! Wach auf und lass den Traum verwehen. Was Du hast hier gesehen, das darf niemals geschehen! Nun geh zurück an diesen Punkt … und lese, was sich wirklich hat zugetragen:
Es mag die Vorfreude des Einen gewesen sein oder nur eine kleine Unachtsamkeit, das Unglück ist jedoch nicht mehr wegzumachen. Auf seinem Weg zum König vertrat er sich auf der heruntergelassenen Zugbrücke an einem hochstehenden Balken den Fuß. Er trat dabei so ungünstig auf, dass er sein Gleichgewicht verlor und seitwärts von der Zugbrücke in den Burggraben stürzte.
Nun wäre dies alles nicht weiter schlimm. Ein paar Knochenbrüche wären vielleicht zu beklagen, der Eine jedoch unversehrt geblieben. Es kam aber gerade in diesem Augenblick ein Krokodil auf seinem täglichen Rundgang an besagter Zugbrücke vorbei. Gewiss es war ein Makel in dem perfekten Königreich, dass das Krokodil den Einen fraß. Es wurde auch kein weiteres mal bezeugt, dass sich selbiges nochmals zugetragen hätte. Ein Einzelfall – es gibt Dinge, die kann man einfach nicht erklären!
Für den König jedoch stand nach diesem Zwischenfall fest, dass es keine Lösung für sein Problem gab. Auch nicht von Außen kommend. So schloss er mit und für sich Frieden und akzeptierte, dass in seinem perfekten Königreich ein Puzzleteil fehlte – im Inneren des Königreichs, abgesehen von dem Zwischenfall mit dem Krokodil, jedoch alles makellos war. Schließlich kam es ihm auf den inneren Zusammenhalt seines Reiches an und nicht auf die äußere Perfektion.