Sucht in einer veränderten Welt
Vieles hat sich in der Rückschau unseres Lebens verändert. Nicht nur unsere Arbeitsweise unterscheidet sich gänzlich von der vorangegangener Generationen – auch unsere Lebensweise hat ein Niveau erreicht, dass uns viele neue Entwicklungen ermöglicht. Dieses Potential nutzen wir aber kaum. Woran liegt das?
Von der Suche zur Sucht.
Aus den Geschichtsbüchern wissen wir, dass das Leben noch vor 100 Jahren kaum Freizeitaktivitäten ermöglichte. Lange Arbeitszeiten waren gang und gäbe. Bis vor Kurzem war das auch noch so. Der andauernde „Trend“ in der Arbeitswelt ermöglicht es uns zunehmend, mehr Freizeitaktivitäten nachzugehen. Die geregelte Arbeitszeit kann schrittweise reduziert werden – es sei denn, wir „flüchten“ förmlich in die Arbeit.
Mit der frei gewordenen Zeit lässt sich vielerlei machen. Die Optionen sind kaum überschaubar. Die Konsumgüterindustrie hat dies längst erkannt und versucht ihrerseits, möglichst viel unserer Zeit zu binden.
Technologie, die Verbindet?!
Längst sind die Smartphones in den Kinderstuben angekommen. Die Zeit, die unsere Jüngsten auf Youtube, Facebook oder mit Computerspielen verbringen… unzählbar! Dabei fesseln die smarten „Tools“ uns nicht nur über unsere Faulheit an sich, sondern über Ausnutzung psychologischer Erkenntnisse, über die wir erst seit kurzem Klarheit haben, was jedoch noch lange nicht heißt, dass wir sie unter Kontrolle hätten. Seit der Neuen Erwartungstheorie von Daniel Kahneman und Amos Tversky wissen wir einiges mehr über unserer Entscheidungsfindung in Situationen mit Risiko. Viele moderne Computerspiele auf dem Smartphone nutzen deren 1979 vorgestellten und 2002 mit dem Nobelpreis geehrten Erkenntnisse aus. Aufbauspiele binden durch die permanent geforderten Aktivitäten ihrer Spieler viel Zeit. Gekoppelt über die möglichen Verluste bei Abwesenheit ergibt sich ein Suchtverhalten, was zur zwangsweisen Verplanung der Freizeit führt!
Sucht, als zwangsweise Verplanung der Freizeit.
Nicht weniger Suchtverhalten entfalten die sozialen Netzwerke mit ihrem Drang dauerhafter Aktivität. Aber auch moderne Abomodelle setzten auf ein großes Stück vom „Freizeitkuchen“. War der Kauf von Musik in meiner Kindheit noch mit dem Gang zum Musikgeschäft nicht nur teuer sondern auch zeitaufwändig, so liefert die heutige Flatrate die Musik gestreamt direkt aufs Handy. Hörte man sich früher eine CD gemeinsam bewusst an, so läuft die Musik auf dem Smartphone individuell nach den entsprechenden Geschmacksrichtungen direkt per Kopfhörer ins Konsumenten-Ohr.
Auch bei Youtube ist die Endlosschleife längst Alltag. Ist ein Film zu Ende, fängt unverzüglich der Nächste an. Ohne eigenes Zutun lässt sich so ein ganzer Nachmittag und mehr verbringen… und das „schöne“ Gefühl dabei, wir entdecken dabei ja auch so viel spannendes Neues… ein trügerisches Gefühl!
Unsere Psyche ist ein Meister darin, die Realität zu verzerren.
Was ergibt sich langfristig aus unserem veränderten Verhalten?
Das ist eine Frage, die nur sehr schwer zu beantworten ist. Klar ersichtlich ist heute bereits, dass die Konsumgüterindustrie sich immer mehr unserer psychologischer Schwächen bedient, um Sehnsüchte in Süchte zu verwandeln, die uns (Lebens-)Zeit und Geld kosten.
Ob sich durch die Verschwendung von Freizeit unsere Intelligenz verringert, scheint anhand des zunehmend sinkenden Bildungsniveau möglich. Ob wir zukünftig Mitte 30 alle Brillenträger werden hängt entscheidend davon ab, wie viel Zeit wir am Stück auf kleine (oder große) Bildschirme starren. Inwieweit wir noch in der Lage sind, uns den Gedanken und Meinungen realen Menschen zu stellen, wird unserer sozialen Kompetenz gerechter als die Anzahl der Freunde bei Facebook und Co.
Ob wir für eine Herzens-Sache voll und ganz brennen oder uns lieber durch den stetigen Fluss an Informationen berieseln lassen, wird entscheiden, was wir aus unserem Leben gemacht haben. Inwiefern wir dazu auch die passenden Gefährten finden, ist auch durch die zunehmende (technologische) Vernetzung nicht leichter geworden. Zu viele Süchte binden unsere neu gewonnene Zeit an einen Ausgang ohne Ende.
Der Süchtige raubt sich seine Freiheit selbst. (Gerhard Uhlenbruck)
Die Schatten-Linie
14 . 11 . 10
Schatten erzählten der Schatten-Frau von einem großen Licht
Aber sie wollte weder zuhören noch wollte sie es verstehen
Denn sie konnte überhaupt kein Licht mehr sehen
…
Nur immer wieder dieser wärmende Klang
Der leise schwärmend davon sang
Wie unvorstellbar schön
dieses Leuchten sei
…
Zuerst dachte die Frau sich gar nichts dabei
Aber dann fing sie an
Auf ihre Schatten-Linie zu achten
Und entdeckte dabei MEHR als die anderen dachten
Schließlich arbeitete sie nur noch wie wild
An ihrem eigenen Schatten-Bild
Genauestens wollte sie ihre eigenen Formen wieder-erkennen
Auch sollte es erkennbar für alle anderen sein
Daß dieses allein zu ihr nur gehörte
Anders als der Schatten anderer , einzig-artig sollte es sein
Und dabei doch fröhlich und leicht
Einfach fast unerreicht
…
So zog die Frau
Haar-genau
Ihre Schatten-Linie nach
Weil das ihrer Vorstellung von Leichtigkeit
Am ehesten entsprach
Die Arbeit war mühsam und zäh
Jede Linien-Krümmung tat unglaublich weh
Denn es erinnerte sie an die Vergangenheit
Und erzählte ihr wieder die Wahrheit
Von der gebrochenen Nase
Damals als Kind
Von den Tränen
Die noch nicht getrocknet
In der Linie noch immer zu finden sind
Da versuchte sie ihrer Silhouette
DIE Form
zu geben
Die sie selber so gerne gehabt hätte
Und suchte die Linie zum Lächeln zu zwingen
Aber
Sie konnte sie lange gar nicht dazu bringen
Auch nur ein einziges Lächeln zu zeigen
und erntete nur noch Schweigen
Unglaublich schwer war es
Aber dann
Begann sich die Linie zu beugen
Und wurde zu einem lächelnden Schatten-Riß
Ohne Gebiß
– Aber der Schatten schwieg –
– als er der Linie entstieg –
und wurde
– eins-zwei-drei-
Sucht-Frei
😉