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Wissen, was zählt

Auch wenn es Jahre her ist, ich erinnere mich an jede Einzelheit. An jenem Tag, an dem ich mein Schicksal in fremde Hände legte, wachte ich schon früh auf. Als ich meine Wohnung verließ, begrüßten mich die ersten Sonnenstrahlen. Mit der Zeit meinte ich es gut und gab ihr ausreichend viel von meiner. So stand ich deutlich vor der vereinbarten Zeit vor der schicksalsträchtigen Tür mit der Aufschrift: „Wissen, was zählt“.

Ich wollte den Augenblick in vollen Zügen genießen und verweilte lang vor dieser Tür, die mir immer mehr wie ein Portal vorkam. Wie ein Portal in eine sehnlichst herbeigewünschte Welt. Nun ist es an mir, den Schritt zu tun und in eine neue Epoche einzutreten. Gewiss, von außen betrachtet, war es ein kleiner Schritt – aber ein Riesenschritt für meine Karriere!

In dem Gebäude wusste man gleich, in welcher Liga man zukünftig spielte – oder zu spielen gedachte. Eine endloslang erscheinende Wand mit Portraits hochgelobter Vorbilder wurde vom grellen Sonnenschein erleuchtet, so dass unweigerlich ein Teil des Glanzes auf den Betrachter abfiel. Ich war mir sicher, dass auch ich hier hingehörte.

An das eigentliche Treffen und das Gespräch erinnere ich mich nur noch bruchstückhaft. In mir tanzte ein Gefühl der Freude, aber auch der Furcht. Diese Mischung macht es mir heute besonders schwer, mich an die Details zu erinnern.

Diese Furcht hat tiefe Wurzeln. Es fing bereits in jungen Jahren an. An einem Samstagmorgen im April beschloss ich, mein bisher flüchtiges Leben zu Papier zu bringen. Täglich setzte ich mich von nun an vor mein Tagebuch und hielt fest, was zählte. Anfangs folgte ich akribisch meinem Tagesablauf und brachte jede Einzelheit zu Papier später wurde der Inhalt kürzer, aber prägnanter.

Wissen, was zählt

Das alles wäre nicht verwerflich und man würde es mir heute wohl auch nicht vorhalten. Irgendwann aber war es zu Ende mit dem akribisch geführten Tagebuch. Die Erlebnisse wurden auf Papier größer und herrlicher, die Rhythmen fließender. Bald gesellte sich auch Erdachtes hinzu und nicht selten schrieb ich schon am Vortag mein Tagebuch.

Aber wie konnte ich denn wissen, dass gerade mein Tagebuch die Arbeitsprobe sein sollte, die den Ausschlag für meine Zukunft geben sollte? Wie sollte ich in diesem Augenblick reagieren mit dem Wissen, wer zahlt?!

So nahm ich den Ruhm in Empfang, der den Raum füllte, als mein Gegenüber aus meinem Tagebuch vorlas. Mit gestählter Brust folgte ich längst vergangener Tage Glanz. Auch in der Gewissheit, dass diese Tage so nie existierten. Tief in mir erwachte das Wissen, was zählt.

Es hätten gerne ein paar Tage mehr sein können, gern auch Wochen, Monate oder gar Jahre. Nun aber, nachdem der Glanz von mir vollends abfällt, wären auch Minuten oder gar Sekunden ein Trost. Für eine Entschuldigung ist es längst zu spät und wahre Freunde sind eh eine Seltenheit. Wenigstens die ‚Likes‚ auf meinem sozialen Profil bleiben mir noch, aber auch diese werden vergehen.

Zu wissen, wer morgen noch zahlt, ist wohl eine der größten Herausforderungen unserer Tage. Neben diesem Riesen fällt das „Wissen, was zählt“ wie ein Zwerg aus. Sicherlich kann der Zwerg eine zeitlang auf den Schultern des Riesen reisen. Aber irgendwann muss er auch auf eigenen Beinen laufen.

Wissen, was zählt ohne zu wissen, wer zahlt?

Aber ja! Jetzt, da ich am Boden liege und jeder, der vor mir steht sich wie ein Riese fühlt, kann ich als Zwerg wieder aufstehen. Aufstehen mit meinem Tagebuch in der Hand. Mit den Geschichten aus erster Hand vom Aufstieg bis zum Fall. Für Jedermann und Jedefrau. Dann ist es mir auch egal, wer zahlt. Hauptsache die Münze in der Kasse klingt!

Heureka! Jetzt muss das Tagebuch nur noch in Druck gehen, damit es noch rechtzeitig unter den Gabentisch kommt.

In diesem Sinne, frohe Weihnachten!

Über Ro!and (409 Artikel)
Auf den Punkt zu bringen, wer man ist, fällt weitaus schwerer, als andere in eine Schublade zu stecken ;-) Im Kern bin ich freiheitsliebend, freigeistig und gerne auch mal (benimm-)regelverstoßend. Ansonsten ganz "normal".
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2 Kommentare zu Wissen, was zählt

  1. Hallo Roland,

    wie immer auf den Punkt.
    Es wird mal wieder Zeit für ein Treffen.

    LG Carsten

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